Sonntag, 9. Dezember 2012

Kirche und Religion

Es ist Sonntag Vormittag. Ich sitze im Buero meines Gastvaters. Es ist still. Zu still.


Wie kommts? Die meisten meiner Gastfamilienmitglieder sind in der Kirche. Nur meine (hochschwangere) Gastmutter und Mary (deren Tochter mit etwas ueber einem halben Jahr noch zu jung fuer die Kirche ist), sowie Alice (die heute fuer die Kueche zustaendig ist), sind sonst noch zuhause.

Und wieso bin ich nicht in der Kirche? Ehrlichgesagt... Ich druecke mich etwas davor ;)
Denn, desto mehr Zeit ich in Kenia verbringe, desto mehr ich von den unterschiedlichen Religionen, die es hier so gibt, mitbekomme... desto panischer werde ich.

Religion in Kenia, das ist etwas oeffentliches. Den meisten Muslimen (oder zumindest den Musliminnen) und Hindus sieht man es sofort an. Die Christen ergeben sich nach dem Ausschlussprinzip (wobei sie sowieso weit ueber zwei Drittel der Bevoelkerung ausmachen). Oder man hoert sie.

Religion in Kenia ist laut. An der Kueste hauptsaechlich, in anderen Teilen des Landes aber auch, wird man lange vor Sonnenaufgang vom Iman geweckt. Ueber riesige Lautsprecher droehnt seine Singsang-Stimme, mit der er die anderen Muslime zum beten aufruft. Etwas seltener und spaeter, so gegen 9 oder 10 Uhr am Sonntag, beginnt dann in den Kirchen der Soundcheck. (Anm.: Kirche ist ein weit dehnbarer Begriff. Auf dem Highway von Nairobi nach Narok, da, wo man ins Rift Valley runterfaehrt, steht eine wunderschoene von Italienern erbaute katholische Kirche. Andere Kirchen sind das Obergeschoss eines Guesthouses. Die Mara Hope Restoration Church hat Stuetzbalken und einen Boden und sogar ein paar Baenke. Die Hope Restoration Church in Narok... Ist eine Wellblechhuette mit Plastikstuehlen auf festgetretenem Sand. Altar gibts nicht. Kreuz auch nicht - hoechstens zufaellig da, wo die Stuetzbalken sich kreuzen...)

 "One, two, Halleluya, one, two. One, two, Jesus."
Dabei muss ich sagen, dass ich sehr stark vermute, dass NIEMAND - weder der Pastor, noch die Jungen, die am Mischpult und Keyboard stehen - auch nur im Entferntesten eine Ahnung von Tontechnik hat. Das Mikrofon ist richtig eingestellt, wenn es droehnt.
Gluecklicherweise ist es in Kenia nicht peinlich sondern normal, wenn man nicht rechtzeitig zum Beginn des Gottesdienstes in der Kirche ist. Irgendwann gehts dann aber trotzdem los und aus den Boxen DROEHNT ein Lied auf Kiswahili, in dem es wahrscheinlich um Gott und Jesus geht. Alle (zumindest die, die schon da sind) springen von ihren Plastikstuehlen auf, die Jugendlichen und Kinder laufen nach vorne und alle fangen sie an nach einer merkwuerdigen Choreografie zu tanzen. Leicht befremdlich. Ich springe natuerlich so ein bisschen mit, klatsche ab und zu mal und lasse ueber mich ergehen, wie der Pastor erfreut Fotos schiesst...

Waehrend der gesamten 3-5 Stunden Kirche vor der Mittagspause gibt es nicht die Moeglichkeit, etwas zu trinken. Dass Kenianer leider die Angewohnheit haben, ohne Mikrofon fast zu fluestern, mit einem in der Hand allerdings loszukreischen wie sonst etwas (wie gesagt, der Sound ist nur dann richtig eingestellt, wenn es droehnt...) und dass leider nicht nur die guten SaengerInnen der Kirchengemeinde es befreiend finden, sich am Gottesdienst mit einem Lied zu beteiligen... Dass alles irritiert mich. Und macht mir Kopfschmerzen.

Waehrend meines zweiten Kirchenbesuchs musste ich an den Nachmittagsgottesdienst an Heiligabend denken. Dort war ich schon ewig nicht mehr, denn, seit ich alt genug bin, waren wir immer nur bei der Mitternachtsmesse. Weil meiner Mutter das Rumgekreische der unkonzentrierten Kinder, die am liebsten sofort ihre Geschenke entgegennehmen wuerden, stoert. Mama - du wuerdest Kirche hier hassen.

Ich habe fuer mich selbst festgestellt, dass die Art, wie Religion in Kenia praktiziert wird, nichts fuer mich ist. Beim Beten gibt es zum Beispiel eine Phase, in der alle auf einmal anfangen, in ihrer Muttersprache Gott mit ihren Gebeten anzuschreien. Die Augen beim Beten gehoeren um jeden Preis geschlossen. Still und leise fuer sich allein beten geht nicht mal vorm Zubettgehen. Und dass man Gott fuer das Abendessen (Ugali mit Sukuma) dankt, anstatt den Spendern der Mission with a Vision und den Maedchen, die alles zubereitet haben... das verstehe ich nicht.
Fuer mich bleibt Religion etwas privates.

Bitte nicht falsch verstehen, ich bin an den unterschiedlichen Religionen und allem weiterhin sehr stark interessiert und habe sogar gerade angefangen, den Koran zu lesen (man glaubt es kaum, aber mein Gastvater hat eine alte, staubige und wahrscheinlich noch ungelesene englische Version im Regal stehen). Ich zweifel aber daran, dass die staendige Konfrontation mit Allah oder Gott oder God oder Jesus oder Christen und Muslimen mich irgendwie in meinem eigenen Glauben - wer mich kennt, weiss, dass ich getauft und konfirmiert bin, aber zu der Mitternachtsmesse an Weihnachten nur gehe, weil ich die Atmosphaere echt schoen finde, und dass ich mich eigentlich als Agnostikerin bezeichnen wuerde - bestaerkt. Ich finde es unglaublich beeindruckend, wie viel die Religion den Menschen hier gibt und wie die Maedchen reihenweise anfangen loszuheulen, wenn der Pastor ihnen sagt, dass Jesus sie liebt. Auf der anderen Seite finde ich es aber auch sehr beaengstigend und religionstechnisch fuehle ich mich hier doch eher unwohl.
Dazu muss ich allerdings auch sagen, dass mir Muslime - speziell meine Gastfamilie in Mombasa - bisher wesentlich toleranter vorkommen als Christen.

Wenigstens im National Museum in Nairobi (da war ich letztes Wochenende, musste naemlich zur Visumsverlaengerung in die Hauptstadt und hab zwei Naechte dort verbracht) werden stolz Schaedel und Skelette von den ersten "Menschen" ausgestellt, die im Land gefunden worden sind. Ausserdem wird dort grosser Wert gelegt auf das Erklaeren von Evolution. Und das Muesum durchlaeuft so ziemlich jeder Schueler aus dem Grossraum Nairobi irgendwann in seinem Leben.

Liebe Gruesse,
eure - blasphemische - Tabea.

PS: Religion im Alltag. Ich wurde schon angemacht, weil ich in einer SMS 'god' statt 'God' geschrieben habe. In der Schule wird den Schuelern vor den Exams geraten, zu beten und sich Kraft bei Gott zu holen. Mein Rat waere ja gewesen, zu lernen... Die Maasai, die ich bisher kennenlernen durfte, trinken alle keine Milch mit Rinderblut - denn Christen trinken kein Blut. "Oh my God" sagen ist vollkommen okay. Aber FLUCHEN? Oh Gott, niemals! Meine Gastschwestern hier schauen sich kein MTV an oder Musikvideos von irgendwelchen amerikanischen Popstars. Hier wird Gospel angestellt! Und wenn gerade kein Fernsehprogramm sowas sendet, wird halt eine semi-professionell produzierte DVD eingelegt, auf der irgendwelche schiefsingenden Maasai (oder manchmal auch eine gar nicht mal so schiefsingende Frau - die Tontechnik macht das allerdings wett, damit es genauso schrecklich klingt. Oder Jimmy Gait, dessen Musik finde ich ehrlichgesagt zur Abwechslung ganz nett, auch, wenn ich die Lyrics nicht so ernst nehme wie alle anderen...) Gott und Jesus anpreisen. Der einzige Buchladen in Narok, der nicht nur Schulbuecher und -bloecke verkauft, hat sonst nur noch Bibeln, Motivationsbuecher von irgendwelchen Pastoren und Biografien von Barack Obama im Angebot. Vor jeder Komiteesitzung (oder Montagmorgentreffen im AFS Buero) wird gebetet.

PPS: Ganz ehrlich, wenn Gott allmaechtig waere - wieso gibt er dann nicht einfach allen Unglaeubigen ein Zeichen? Und wenn der Koran das Wort Gottes sein soll... Wieso drueckt sich der Allmaechtige dann nicht so aus, dass ihn jeder versteht und dass man da nicht so unglaublich viel reininterpretieren kann?

PPPS: Mir faellt noch viel mehr frustrierendes zu Religion ein, aber ich lasse es jetzt erstmal sein. Ich moechte nur nocheinmal betonen, dass ich die Religiositaet eines jeden anderen Menschen respektiere und selbst, wenn ich mich darueber eventuell lustig mache, dann finde ich es doch schoen, dass die Person eine Hoffnungsquelle hat...

PPPPS: Nach der Mittagspause geht die Kirche uebrigens weiter. Da gehen aber dann nicht mehr alle hin.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen